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Achills Zorn spricht auf dunkle Weise klar. Joachim Latacz unterstrich mit Blick auf
die Renaissance des 8. Jh. v. Chr.
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die von Homer intendierte moralische Integri-
tät des großen Griechenhelden. Danach profiliert Homer gegen die Wertekrise des
Adels und einen sich ausbreitenden Materialismus im Zuge der Renaissance des 8.
Jahrhunderts Achill als Gestalt vorbildlicher Adelsethik. Diese leidet daran, dass alt-
adlige Tapferkeit und Ethik verfallen. In der „Sinnlinie einer kompromisslosen Ver-
teidigung“ des alten Wertekanons agiert Achilleus das ganze Werk hindurch.
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Die
Ausstellungsinszenierung knüpft an diese Deutung an, die auch in Wolf Petersens
Troja-Film (2004) eingearbeitet ist. Jugendliche Besucher werden zunächst an der
Bilderwelt mit Brad Pitt regen Anteil nehmen. Die gezeigten 9 Filmstandbilder halten
fest: 1. Achill in Großaufnahme, 2. der Konflikt zwischen den beiden Adelsherren
Achill undAgamemnon, 3. die Briseis-Episode, 4. der dunkle Schmerz Achills, den er
seiner Mutter Thetis am Strand klagt, 5. der rasende Schmerz um Patroklos, 6. Thetis
mit der neuen Rüstung, 7. der Kampf Achill-Hektor, 8. Priamos bittet Achill in dessen
Zelt, um den Leichnam seines Sohnes, 9. der an der Ferse verletzte, sterbende Held.
Gestaltung des Innenhofs:
Schild des Achilleus in neuhumanistischer Ausführung
Vor kyklopisch ästhetisiertem Mauerwerk, das allmählich in regionales Naturge-
stein übergeht, empfängt die epische Muse Kalliope Eintretende. Sie weist mit der
rechten Hand auf die „Ilias“ in ihrer linken.
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Es vollzog sich ein langsames Wiedererstarken nach der großen Katastrophe des mykenischen Zusam-
menbruchs um 1200 mit einem neuen Wachstum in den Bereichen Ressourcen, Bevölkerung, Technik,
Wirtschaftstätigkeit, Vermögen, auch im Bereich der Schriftkultur. „Um 800 war die Schrift von den Phö-
niziern verwendet worden und zu genereller Verwendbarkeit verbessert worden.“ (Joachim Latascz: Ho-
mers Ilias. Studien zu Dichter, Werk und Rezeption (=Kleine Schriften), hg. von Thierry, Greub u.a., Ber-
lin und Boston, 2014, S. 299). Auch der Seefahrthandel ging im Mittelmeer auf festen Schifffahrtrouten
an die Griechen über, so dass Griechenland bald die Führung innerhalb des pulsierenden Mittelmeerraums
übernahm. Infolgedessen erlebten die Griechen eine enorme geographische und – damit zusammenhän-
gend – geistige Horizonterweiterung. Es begann die Kolonisation: Die Gründung der Griechenstädte in
Sizilien und Unteritalien war regiert vom Geist des Aufbruchs, der Renaissance des 8. Jh. Zwar war der
Adel – die Oberschicht – mit ihrem Unternehmensgeist führend, aber es wuchsen neue soziale Schichten
auf: Händler, Schifffahrtunternehmer, Massenproduzenten. Deren auch materielle, pragmatische Dyna-
mik stellte „das bis dahin als vorbildlich anerkannte Verständnis der Oberschicht in Frage“ (ebd., S. 299).
Homer antwortet mit seiner Achill-Figur auf die in der Umbruchszeit des 8. Jh. v. Chr. einsetzende Selbst-
bewusstseinskrise des Adels. „Die Antwort formt sich als Entwurf des idealen Adligen“ (ebd., S. 300).
Die Ilias werde falsch aufgefasst, wenn man sie einfach als Sagenerzählung des Krieges um Troja liest.
Vielmehr würden aktuelle Fragen im Sängerepos vorgetragen. Sie zeichne sich dadurch aus, dass sie „pri-
mär nicht handlungs-, sondern charakterkonzentriert“ ist (ebd., S. 301). Es handele sich um keine „Ilias“,
keinen Gesang auf „Ilion“!, vielmehr um eine Achilleis. Latascz zufolge war der Troja-Stoff nur Material
für die Profilierung des Achill (ebd., S. 302). Dieser hatte in der durch Materialismus gekennzeichneten
Umbruchszeit eine Vorbildfunktion zu übernehmen.
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Joachim Latascz: Homers Ilias,. Studien zu Dichter, Werk und Rezeption, S. 324.