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ten Schliemanns ausgeführte Ölbild zeigt den Porträtierten im Gegensatz zu den
Fotos, auch wenn diese anders als heutige Schnappschüsse zumeist in Ateliers
aufgenommen und folglich ‚arrangiert‘ wurden, in einer gewissen Überhöhung,
eben als den erfolgreichen und selbstbewussten Gelehrten, wie er sich gegen man-
che Anfeindung ja auch selbst sah. Beredtes Zeugnis dafür sind die bei den Fo-
tos meist vermiedene Frontalstellung, die abgenommene Brille sowie die Bücher
und Schreibutensilien, auf denen sein linker Unterarm ruht. Und doch finden sich
erkennbare Parallelen zum vorgestellten Gemälde: Hier wie dort das verschlank-
te Untergesicht gegenüber einer übermächtigen, auf die Kalotte übergreifenden
Stirn; Haaransatz, Nasenform, Schnauzbart, Ansatz zum Doppelkinn, vergleichs-
weise schmale, dunkle Augen und die bezeichnenderweise auch hier ausgedünnte
bzw. reduzierte rechte Augenbraue lassen den Schluss zu, dass auf beiden Gemäl-
den die gleiche Person dargestellt sein könnte.
So halten sich Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen dem Männerpor-
trät und dem durch Fotos gesicherten Aussehen Schliemanns annähernd die Waa-
ge. Gegen eine Gleichsetzung können die Kopfform, das abstehende sichtbare Ohr
und das Grübchen im Kinn angeführt werden. Genügt dies alles bereits, um die
dem Gemälde anhaftende Benennung zu verwerfen?
Da das in Schwerin versteigerte Porträt erst nach der Jahrhundertwende und damit
deutlich nach Schliemanns Tod entstanden sein kann, dürften dem Maler nur Zei-
tungsbilder oder ein Foto als Vorlage gedient haben. Über einen persönlichen Ein-
druck von der Person des Dargestellten wird der auch in seinen künstlerischen Qua-
litäten sonst unbekannte Porträtist nicht verfügt haben. Dies gilt vermutlich auch für
zwei weitere Ölbilder, die unzweifelhaft Schliemann meinen, das eine imMoskauer
Puschkin-Museum
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aufbewahrt, das andere als Foto im Bildarchiv desAnkershage-
ner Museums
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vorhanden, deren Entstehungszeit unbekannt ist. Sie scheinen insge-
samt dem vertrauten Schliemann-Bild näher zu kommen als das Schweriner Ölbild,
zeigen gemeinsam aber zugleich die mögliche Bandbreite an Übereinstimmungen
und Abweichungen. Bei solchen Gemälden, das Schweriner Versteigerungsobjekt
einbezogen, kann es sich folglich nur um Annäherungen, nicht um auf Autopsie
beruhende Kenntnis der dargestellten Persönlichkeit handeln.
Unter diesem sicher gewichtigen Vorbehalt und in Anbetracht der Gründe, die das
Für oder Wider einer Gleichsetzung stützen, bleibt also weiter zu diskutieren, ob
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Moskau, Puschkin-Museum für Bildende Künste: Der Schatz aus Troja. Die Ausgrabungen von
Heinrich Schliemann (Ausstellungskatalog), Moskau/Milano 1996, S. 10.
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Fotoarchiv des Heinrich-Schliemann-Museums Ankershagen. Seitenverkehrt abgebildet bei S.
Tarantou, Iliou Melathron (Katoikia 30), Athen 1987, S. 69 (non vidit).